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Neu im Bücherregal

Montag, 25.04.2022

Die russische Verfassung fundiert kommentiert und kritisch beleuchtet in der neuen Publikation von Bernd Wieser

Russland steuerte mit der zu Weihnachten 1993 in Kraft getretenen Verfassung in eine verheißungsvolle neue Ära. Doch 2020 brachte die überraschend erfolgte, umfangreiche Verfassungsreform einen Wendepunkt. Ein System nach Maß für Präsident Putin wurde installiert. Die neue Publikation von Bernd Wieser beleuchtet die jüngsten Änderungen der Verfassung der Russländischen Föderation, arbeitet die komplette bisherige Judikatur des russischen Verfassungsgerichts kritisch auf und berücksichtigt in der Kommentierung die Gesamtheit des relevanten auf Russisch, Englisch und Deutsch erschienenen Schrifttums. Ein Gespräch mit dem Herausgeber über das Werk mit Sonderstellung.

 

REWI Uni Graz: Wie funktioniert der russische Staat von heute?

Bernd Wieser: Der russische Staat funktioniert heute allein nach dem Willen eines einzigen Mannes, und das sehr zum Schaden Europas, der Welt und auch Russlands selbst. Alle Ausgleichsmechanismen, die in der Verfassung noch angelegt wären, sind ausgehebelt. Putin hat über die Jahre alle Machtorgane gleichgeschaltet und sich unterworfen, sowohl in der horizontalen als auch in der vertikalen Dimension. Die Zivilgesellschaft ist schwach entwickelt, sie besteht im Kern eigentlich nur in den beiden Metropolen Moskau und St. Petersburg. Ob die Armeeführung sich bei einem weiteren für Russland desaströsen Kriegsverlauf einmal gegen den Präsidenten wenden wird, ist noch schwer abzuschätzen.

 

Würde die russische Verfassung in der jetzigen Form einen liberalen, demokratischen Staat ermöglichen und sieht sie Prinzipien wie Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit vor?

In der Stammfassung 1993 entspricht sie auch im Staatsorganisationsrecht weithin den von Ihnen genannten Standards, Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit sind zumindest prinzipiell angelegt und ausgebildet. In der Verfassungstheorie spricht man gleichwohl von einem superpräsidentiellen Regierungssystem, das heißt die Kompetenzen des Präsidenten sind überstark ausgebildet und reichen schon leicht in ein autoritäres System hinüber. Dennoch: Präsident Jelzin war in den 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts keineswegs ein Alleinherrscher, er hatte sowohl mit einem ihm feindlich gesinnten Parlament als auch mit den Regionen politisch zu kämpfen. Auch die Verfassungsgerichtsbarkeit funktionierte noch recht passabel. Die Verfassungsgeschichte Russlands der letzten 30 Jahre zeigt einmal mehr, dass die Wirkweise von Verfassungstexten sehr stark von den handelnden Persönlichkeiten abhängt. Putin hat von Anfang an westliche Verfassungswerte verachtet, das war klar zu sehen. Verfassungsrechtlicher Schlusspunkt der Demontage des Verfassungsstaats war die Verfassungsnovelle 2020, die der Verfassung schweren Schaden zugefügt hat. Putin könnte danach bis 2036 Präsident und de facto Diktator sein, das ist demokratiepolitisch natürlich inakzeptabel.

 

Enthält die Verfassung Menschenrechte?

Der Katalog der Grund- und Menschenrechte der russischen Verfassung ist textlich sogar vorbildhaft. Die Verfassungswirklichkeit ist leider eine ganz andere. Dass sich die Lage zudem in den letzten Monaten noch weiter dramatisch verschlechtert hat, ist evident. Russland ist außerdem nicht mehr Mitglied des Europarats. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte prüft zwar noch bis September Fälle im Zusammenhang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Russland 1998 beigetreten ist. Schon zuvor hat das russische Verfassungsgericht für sich in Anspruch genommen, Urteile des EGMR zu verwerfen, die nach seinem Dafürhalten gegen die russische Verfassung verstoßen. Die Verfassungsnovelle 2020 hat das auch in die Verfassung hineingeschrieben.

 

Ihr mit dem Deutsch-Russischen Juristenpreis 2020 ausgezeichnetes „Handbuch der russischen Verfassung“ wurde auch ins Russische übersetzt. Wie wurde Ihr Kommentar in russischsprachigen Regionen aufgenommen? Kommentieren Verfassungsrechtler_innen in Russland die eigene Verfassung anders?

Verfassungskommentare haben in Russland erst eine kurze Tradition. Russische Kommentare sind weitgehend deskriptiv, sie sind oft Nacherzählungen der einfachen Gesetzeslage. Eine dogmatische Durchdringung der Verfassung und Verarbeitung der Judikatur des Verfassungsgerichts findet nur ansatzweise statt. Insofern besteht schon ein deutlicher Kulturbruch zu dem von mir herausgegebenen Werk, das in Russland daher nur partiell rezipiert wird. Insofern geht es im Sinne von Max Weber um das Bohren dicker Bretter.

 

Was erwartet die Leser_innen in Ihrer neuen Publikation?

Eine Gesamtanalyse der Verfassungsnovelle 2020 in allen ihren Bestimmungen nach den Standards, die schon das Hauptwerk 2014 gesetzt hat. Manches wird daher überhaupt erstkommentiert.

 

Arbeiten Sie bereits an weiteren Buchprojekten?

Selbstredend: Derzeit hat sich der Forschungsschwerpunkt auf die Ukraine verlagert. Wir erarbeiten gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen von der Universität Uschgorod ein System des Besonderen Verwaltungsrechts in der Ukraine. Ein solches gibt es bis dato nämlich noch gar nicht.

 

Weitere Infos zur Publikation über die russische Verfassung finden Sie hier.

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