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Krieg

Donnerstag, 03.03.2022

Europa ist im Bann des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine. Erika de Wet und Paul Gragl beleuchten diesen aus rechtlicher Sicht.

REWI Uni Graz: Wie beurteilen Sie die Geschehnisse rund um Russland und die Ukraine aus völkerrechtlicher Sicht? Welche Brüche internationalen Rechts fanden statt?

Erika de Wet: Die Angriffshandlungen sind ein Akt der Aggression und eine gravierende Verletzung des Gewaltverbots gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates, das in Artikel 2 Absatz 4 der Charta der Vereinten Nationen enthalten ist. Blickt man etwas zurück, war auch schon die Konzentration der russischen Truppen nahe der ukrainischen Grenze als eine solche Verletzung zu sehen, denn unter Berücksichtigung der Vorgeschichte seit 2014 ist diese Konzentration wohl als eine ebenso nach diesem Artikel verbotene Androhung von Gewalt zu verstehen. Vielleicht ein ergänzendes, für Europa doch wichtiges Detail: Gewaltverbot und das sog. Interventionsverbot sind auch in der Schlussakte von Helsinki enthalten, mit der der Vorläufer der OSZE, die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), gegründet wurde und welche auch Russland unterzeichnete.

In der Vergangenheit sah man bei Konflikten des Öfteren eine Verletzung des Gewaltverbots und anderer völkerrechtlicher Grundprinzipien durch Großmächte, denke man nur etwa an den Irak-Krieg oder den Kosovo. Ein Bruch des Völkerrechts rechtfertigt jedoch keinen weiteren, es schwächt die Glaubwürdigkeit der Akteur_innen.

Paul Gragl: Ebenso liegt die Verletzung des schon angeführten Interventionsverbots vor, das es Staaten verbietet, sich in die Angelegenheiten eines anderen Staates einzumischen. Mit der Anerkennung der ukrainischen Regionen Donezk und Luhansk als „Volksrepubliken“ durch Russland ist eine solche Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Ukraine geschehen. Sie macht die von Russland behauptete Abspaltung der beiden Regionen als sog. „Staaten“ somit auch von vornherein völkerrechtswidrig, weil diese Gebiete völkerrechtlich gesehen natürlich noch Teil der Ukraine sind.

 

Wie ist die Anerkennung der Regionen Donezk und Luhansk als Volksrepubliken einzuordnen?

Paul Gragl: Es handelt sich bei diesen beiden Regionen wie gesagt völkerrechtlich nach wie vor um ukrainische Gebiete. Damit diese nach allgemein anerkannten internationalen Prinzipien ein eigener Staat wären, müssten drei Kriterien erfüllt sein: Sie müssten eine eigene effektive Regierung, eine eigene Bevölkerung sowie ein eigenes Territorium haben. Zwei Gründe sprechen daher gegen die Staatlichkeit dieser beiden Gebiete: Erstens stellen sie effektiv keine Staaten dar, weil sie von Russland abhängig sind; und zweitens geschah diese Anerkennung während eines andauernden Konflikts mit der Ukraine, was die Anerkennung eben als Eingriff in das Interventionsverbot völkerrechtswidrig macht.

Erika de Wet: Außerdem stellte die Anerkennung dieser Regionen eine Verletzung der territorialen Unversehrtheit und Souveränität der Ukraine dar. Denn es gab weder eine massive Unterdrückung der Menschen in den Regionen noch einen Völkermord, der eventuell als Rechtsgrundlage einer einseitigen Abspaltung (Sezession) hätte dienen können.

 

Können die Vereinten Nationen wirksam einschreiten?

Paul Gragl: Der UN-Sicherheitsrat, wohl das schlagkräftigste Organ der Vereinten Nationen, ist zurzeit blockiert. In diesem Gremium, das die Aufgabe hat, schnell und wirksam durch Beschlüsse bei Gefahren für den Frieden oder die internationale Sicherheit einzugreifen, hat Russland nämlich ein Veto-Recht. Es gibt daneben aber die Möglichkeit, dass die UN-Generalversammlung, in welcher alle 193 Mitgliedsländer der Vereinten Nationen mit einer Stimme vertreten sind, eine Resolution beschließt, die die Meinung der Vereinten Nationen zum Ausdruck bringt. Allerdings ist eine solche im Gegensatz zum Beschluss des UN-Sicherheitsrats nicht verbindlich. Sie erzeugt aber sehr wohl politischen Druck, wie wir nun gesehen haben: Die Resolution der Generalversammlung vom 2. März 2022 wurde von 141 Staaten angenommen; 35 haben sich enthalten; und nur fünf (darunter Russland) haben dagegen gestimmt. Russland ist weltweit isoliert.

 

Was hilft in solchen Fällen eigentlich die Charta der Vereinten Nationen, zu der sich auch Russland bekennt?

Erika de Wet: Es ist hier an Artikel 51 der UN-Charta zu denken, in dem das Recht der individuellen und kollektiven Selbstverteidigung verankert ist. Der russische Angriff löste das individuelle Recht der Ukraine aus, unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit mit militärischen Mitteln zu antworten. Auch darf die Ukraine unter dem kollektiven Aspekt andere Staaten um Hilfe/militärische Unterstützung bitten. Momentan beschränkt sich die militärische Unterstützung durch Drittstaaten auf Waffenlieferungen. Artikel 51 würde es unter dem kollektiven Gesichtspunkt m.E. auch erlauben, dass andere Staaten bewaffnet für die Verteidigung der Ukraine eingreifen, was jedoch vermieden wird, um eine direkte Konfrontation mit Russland zu verhindern.

Es wären mit Artikel 51 der UN-Charta auch die Wirtschaftssanktionen gegen die russische Kriegsfinanzierung argumentierbar. Sollten solche Maßnahmen dazu führen, dass geltendes Völkerrecht (z.B. Investitions- oder Handelsabkommen) nicht eingehalten wird, könnten sie als (völkerrechtskonforme) Reaktion auf den Bruch des Völkerrechts durch Russland betrachtet werden. Es ist argumentierbar, dass der Angriff mit Waffengewalt nicht nur die Selbstverteidigung mit militärischer Gewalt rechtfertigt, sondern auch notwendige und verhältnismäßige Gegenmaßnahmen, um die Beendigung der Auseinandersetzung herbeizuführen. Wirtschaftssanktionen können dieses Ziel haben und sind darüber hinaus auch mildere Maßnahmen als eine militärische Verteidigung.

Des Weiteren bildet die UN-Charta die Basis für eine (friedliche) Streitbeilegung beim Internationalen Gerichtshof (IGH). Die Ukraine hat bei diesem in den vergangenen Tagen auch schon eine Klage unter Bezug auf die Völkermordkonvention von 1948 eingereicht. Die Ukraine ersuchte den IGH festzustellen, dass kein (wie von Russland behauptet) Völkermord in der Ukraine stattfindet, welcher als Rechtfertigung für den Angriff auf die Ukraine dienen kann.

 

Wie sehen Sie das Vorgehen der EU und deren bisherige Sanktionen?

Paul Gragl: Die EU hat gegenüber Russland mittlerweile schwerste Geschütze aufgefahren, wie es sie so noch nicht gab: Der Luftraum ist gesperrt, Sanktionen am Finanzmarkt sind eingeführt, es gibt Waffenlieferungen. Ähnliche Sanktionen gegen Belarus wurden angekündigt und auch in den letzten Tagen beschlossen.

Erika de Wet: Interessant ist die Frage, welche Rechtsgrundlage man für diese Maßnahmen heranziehen kann. Neben den Überlegungen zu Artikel 51 der UN-Charta möchte ich hier das EU-Russland-Partnerschaft-Abkommen aus dem Jahr 1994 anführen. Dieses enthält in Art. 99 Absatz 1 lit. d eine Sicherheitsklausel, die besagt, dass umfangreiche Maßnahmen ergriffen werden dürfen – zum Schutz der wesentlichen Sicherheitsinteressen einer Vertragspartei. Dazu gehört unter anderem auch eine Kriegsbedrohung. Diese Sicherheitsklausel wurde auch schon nach der Annexion der Krim als Rechtsgrundlage für EU-Wirtschaftssanktionen vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) bestätigt. Damals klagte das russische Mineralölunternehmen Rosneft, weil es von den Maßnahmen betroffen war. Der EuGH entschied, dass diese in Art. 99 Absatz 1 lit. d Deckung fanden, weil sie dem Schutz wesentlicher EU-Sicherheitsinteressen und der internationalen Sicherheit dienten.

 

Immer mehr neutrale Staaten wie die Schweiz, Schweden oder Österreich ergreifen für die Ukraine Partei. Wie bewerten Sie das? Ist die Neutralität Österreichs bislang gewahrt geblieben?

Paul Gragl: Die Länder sind diesbezüglich unterschiedlich zu sehen. Schweden ist nur faktisch neutral, es hat keine verfassungsrechtliche Neutralitätsbestimmung. Daher ist das Land faktisch bündnisfrei, es würde dem Beitritt zu einem Militärbündnis nichts im Weg stehen. Dadurch tut sich Schweden auch am leichtesten mit Waffenlieferungen. Die Schweiz hat dagegen eine Verfassungsbestimmung, die die Neutralität vorsieht. Österreich verankerte die Neutralität ebenfalls auf Verfassungsrang und darüber hinaus notifizierte es diese noch zusätzlich völkerrechtlich an 65 Länder durch einseitige Erklärung. Durch den EU-Beitritt wurde die österreichische Neutralität zwar etwas abgeschwächt, man schrieb etwa die Vereinbarkeit des EU-Beitritts mit der Neutralität wiederum verfassungsrechtlich fest. Die Teilnahme Österreichs an der EU-Außen- und Sicherheitspolitik ist dadurch möglich und die entsprechenden Maßnahmen der EU gegenüber Russland können mitgetragen werden. Bei den Waffenlieferungen, zum Beispiel, hat sich Österreich konstruktiv enthalten, den Beschluss also nicht blockiert.

Erika de Wet: Aus völkerrechtlicher Sicht ist das allerdings ein Seiltanz. Es geht nicht um eine politische Neutralität, sondern um eine Neutralität im Sinne der Teilnahme an militärischen Aktionen bzw. dem Nichtbeitritt zu einem Bündnis wie der NATO. Bei internationalen Konflikten gilt für neutrale Länder wie Österreich oder die Schweiz das Gleichbehandlungsprinzip bezüglich der Ausfuhr von Waffen und Kriegsmaterialen (und „Dual-Use“-Güter). Das schließt einseitige Wirtschaftssanktionen in diesen Bereichen aus, soweit sie nicht ihre Deckung in einer verbindlichen Resolution des UN-Sicherheitsrats finden. Deshalb war es richtig, dass Österreich sich bei der Abstimmung über EU-Waffenlieferungen enthielt und laut Aussagen der Verteidigungsministerin auch keine Waffen an die Ukraine liefern wird. Einseitige Ausfuhrverbote von zivilen Wirtschaftsgütern oder das Einfrieren von Vermögen nicht-staatlicher Akteur_innen wären jedoch nicht völkerrechtswidrig. Des Weiteren würde das Einfrieren des Privatvermögens von Staatsorganen wie des Präsidenten formal nicht gegen das Neutralitätsprinzip verstoßen. Beim Einfrieren von staatlichen Finanzmitteln und Vermögen, z.B. einer Zentralbank, kommt man allerdings in einen Graubereich – es könnte indirekt ja für die Finanzierung der Kriegsführung verwendet werden.

Paul Gragl: Interessant ist vielleicht ein weiterer Aspekt im Zusammenhang mit der Neutralität Österreichs. Österreich ging mit der NATO in den 1990er-Jahren eine Partnerschaft ein. Dagegen gab es von den 65 Staaten, an welche die Neutralität von Österreich im Jahr 1955 notifiziert wurde, keinen Protest. Das kann als konkludente Annahme der Partnerschaft gewertet werden.

 

Es gibt auch das Völkerstrafrecht. Sind Putin und russische Hauptakteur_innen damit belangbar?

Erika de Wet: Für die Verfolgung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression ist der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) zuständig, aber nur für Akte, die auf dem Territorium eines Mitgliedsstaats oder durch Bürger_innen eines Mitgliedstaates gesetzt wurden. Russland ist kein Mitgliedsstaat, die Ukraine ebenso nicht, gab aber nach der Krim-Besetzung durch Russland eine Erklärung ab, für unbefristete Zeit die Zuständigkeit des IStGH in auf Bezug Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkerrmord anzuerkennen. So könnten sowohl russische wie ukrainische Akteur_innen durch das Völkerstrafrecht für Taten auf ukrainischem Gebiet zur Rechenschaft gezogen werden. Nach der Krim-Besetzung und dem Ausbruch des Konfliktes in der Ost-Ukraine leitete der IStGH erste Untersuchungen ein und hat in den vergangenen Tagen angekündigt, weitere Untersuchungen einzuleiten. Allerdings bildet die Beweissicherung in Konfliktsituationen eine sehr große Herausforderung und es könnte lange dauern, bis internationale Haftbefehle tatsächlich erlassen werden.

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